In unserer modernen Gesellschaft wird stets suggeriert, dass wir stark sind, keine Schwächen haben. Wir sind, leistungsfähig, flexibel einsetzbar und haben Spaß. Dank der virtuellen Netzwerke haben wir Hunderte Freunde weltweit und sind über moderne Technik immer erreichbar. Uns geht es fortwährend besser. Da ist kein Platz, um abzuschalten, kein Raum für Sorgen, Probleme und erst recht nicht für Krankheiten oder Ängste. Jedenfalls würden wir das nicht offen zugeben. Denn das macht uns verletzlich, und wenn wir eines nicht tun dürfen in dieser hoch technisierten, zukunftsorientierten Welt, dann ist das, Schwäche zu zeigen. So bleiben viele Ängste im Verborgenen. Sicher schaffen es zahlreiche Menschen mitzuschwimmen im Strom der virtuellen Datenwelt, der Reichen und Schönen, der Erfolgreichen und fröhlichen Partypeople. Dennoch hat unsere Zeit auch ihre Erkrankungen hervorgebracht. Burnout ist eines der Schlagworte, dass immer wieder die Runde macht. Depressionen und auch Ängste sind Tribute, die unsere Lebensweise fordert.
© Steffi Pelz / PIXELIODas hat natürlich Auswirkungen auf unser Verhalten und auf unsere gesellschaftlichen Beziehungen. Die Politik versucht zwar, die Familie wieder mehr zu fördern. Jedoch hat sie es noch immer schwer. Entweder sind die Eltern derart beruflich eingespannt, dass die Kinder einfach zu kurz kommen müssen oder es stehen andere Probleme im Mittelpunkt. Selbst in Familien, wo die Eltern zu Hause sind, fehlt es oft an Zuwendung und Förderung. Sei es, weil den Eltern die finanziellen Mittel fehlen, weil sie einfach resigniert haben oder weil sie möglicherweise in einen Kreislauf geraten sind, in dem sie nicht gelernt haben, wie optimale Kindererziehung aussieht. In unserer Gesellschaft wird bereits im Kindergarten vermittelt: Du musst stark sein. Durchsetzungsvermögen ist wichtig, ansonsten wird man es später schwer haben im Leben. Dass Nähe und starke Bindungen, die Halt geben, ebenso wichtig sind, kommt leider oft zu kurz. Nähe wird von vielen sogar als bedrohlich empfunden. Denn ist zu viel Nähe nicht ein Zeichen von Schwäche? Sich anlehnen, fallen lassen dürfen, das haben viele Menschen bedauerlicherweise verlernt. So ist eben auch die Angst vor Nähe ein Zeichen unserer Zeit.
Der Mensch lernt aus Erfahrungen. Menschen, die sehr viele schlechte Erfahrungen gemacht haben, werden ihr Verhalten entsprechend anpassen. Je nachdem, wie man charakterlich veranlagt ist, kann sich das auf unterschiedliche Weise zeigen. Wenn jemand immer wieder Nähe zugelassen hat, allerdings wieder und wieder verletzt und enttäuscht wurde, wird er diese Nähe irgendwann blockieren. Er wird ganz automatisch, wahrscheinlich sogar unbewusst Schutzmechanismen aufbauen. Allein diese Angst vor Nähe kann bereits einer dieser Schutzmechanismen sein. Indem sich Menschen bereits nach kurzer Zeit wieder trennen, bevor die Bindung zu tief wird, versuchen sie sich vor einer erneuten Enttäuschung zu schützen. Es kann zu verbalen Zurückweisungen kommen, aber auch zu aggressiven Verhaltensweisen. Es geht nur darum, eine sichere Distanz zu wahren. Dabei sehnen sich diese Menschen im Grunde nach einer festen Bindung. Aus Angst vor einer erneuten Verletzung können sie diese nicht eingehen. Oft ist den Betroffenen ihr Verhalten nicht bewusst, sodass es zunächst darum geht, diesen inneren Konflikt zu erkennen, bevor die Verhaltensmuster schrittweise abgebaut werden können.
Natürlich können Ängsten und Verhaltensweisen unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Entscheidend ist es immer, zu differenzieren. Handelt es sich tatsächlich um eine Angststörung oder lässt sich das Verhalten anderweitig begründen. Die Auslöser und Gründe für die Ängste können vielfältig sein und oftmals bereits in der Kindheit liegen. Wichtig ist es außerdem, dass der Betroffene selbst daran arbeiten will. Psychische Leiden lassen sich nicht so einfach behandeln wie ein harmloser Schnupfen. Denn wenn die Seele verletzt ist, hat das oft weitaus schwer wiegendere Folgen als eine körperliche Erkrankung, die sich auch leichter diagnostizieren lässt.